Der vielbeschriebene „War for Talents“ und Fachkräftemangel in bestimmten Branchen begleiten uns auch durch die ersten Monate des Jahres 2019. Doch auch ein relatives neues Phänomen hat Einzug in die HR-Welt gehalten: Employee Experience, die positive Mitarbeitererfahrung oder im HR-Jargon auch „EX“ genannt. Was ist das genau und warum ist es so wichtig für HR?
Dazu vielleicht eine persönliche Anekdote vorweg. Vor einigen Jahren wurde ich einmal in einem Interview von einem Kandidaten gefragt, warum ich mich eigentlich damals für genau diesen Job und meinen Arbeitgeber entschieden habe. Ich muss gestehen, diese Frage hatte ich nicht erwartet und ich war für einen kurzen Moment sprachlos. Warum war ich sprachlos? Eigentlich kann die Antwort doch nicht so schwer sein, oder? Doch die gestellte Frage enthält viele verschiedene Facetten und Faktoren, die sich manchmal nicht so leicht in Worte fassen lassen. Das ist genau das, was „EX“ ausmacht.
„EX“ ist der holistische Ansatz, der getrieben wird von Vertrauen und Integrität im Job, von sinnstiftender Arbeit, Feedback und Anerkennung. Aber auch von persönlichem Wachstum, Mitbestimmung und Wertschätzung im Beruf. Es ist die Beziehung des Mitarbeiters mit seinem Unternehmen, welches im Bewerbungsprozess beginnt und sich über seine gesamte berufliche Laufbahn fortsetzt, bis hin zum Ausscheiden und bestenfalls mit dem Eintritt in das Alumni-Dasein.
Aus Mitarbeitern werden „Konsumenten“
Diese schiere Komplexität von Erfahrungen, der ein Mitarbeiter während seines kompletten Arbeitslebens ausgesetzt ist, macht deutlich, dass „EX“ nicht statisch ist. Vielmehr ist es ein dynamischer Prozess, der einem Wandel unterworfen ist. Ein verregneter Montagmorgen, an dem man in der Früh nur schlecht aus dem Bett zu einem wichtigen Meeting kommt, hat darauf genauso Einfluss wie der muffelige Zeitgenosse in der U-Bahn, der nicht zur Seite tritt oder aber das erfolgreiche Abteilungsmeeting während des Tages. Bei „EX“ schlüpft der Mitarbeiter in die Rolle des „Konsumenten“, da jeder noch so kleine Schritt in unserem subjektiven Empfinden auch unsere Unternehmenskultur beeinflusst. Es beeinflusst unser Tun, unsere Performance und auch die Wahrnehmung unserer Kollegen.
Was bedeuten diese Beobachtungen für den Bereich HR? Kurz gesagt, fordert „EX“ uns Personaler dazu auf, sich auch in die Position des internen Konsumenten zu versetzen und zu prüfen, ob die zu vermittelnde Botschaft auch bei unseren Mitarbeitern ankommt.
Investieren und optimieren
In letzter Zeit wird in den Bereich „EX“ deutlich investiert. Die Firma Adobe hat im Jahr 2016 beispielsweise einen eigenen Bereich gegründet, der sich mit dem Thema beschäftigt – die Abteilung Customer and Exployee Experience. Auch bei Hewlett Packard wird derzeit ein Employee Experience Director gesucht. Allein daran sieht man, wie wichtig dieses Thema geworden ist. Anfangs war es nur die grobe Unterteilung in Recruiting, Onboarding, Training, Exit und Alumni, an dem sich „EX“ relativ einfach messen lässt. Diese Themengebiete sind in jedem Unternehmen ähnlich und gaben uns Aufschluss, ob wir alles richtig machten. Mittlerweile haben wir erkannt, dass dazu noch weit mehr gehört. Es reicht nicht, nur bei bestimmten Schlüsselpunkten in der Karriere Feedback einzuholen – der ganzheitliche Ansatz ist entscheidend, gemäß des Mottos: „Measuring employee engagment isn‘t the same as improving it“.
Im Fokus steht jetzt nicht nur das Verstehen der Mitarbeitererfahrung, sondern auch das Optimieren. Dieses hat sich in den letzten Jahren zu einer der wichtigsten Prioritäten für Personal- und Unternehmensleiter entwickelt.
So nehmen wir Arbeitsplatzdesign genauso ernst, wie Unternehmenskultur, Wellness, Nachhaltigkeit und Vergütung. Wir haben verstanden, dass ein Schritt in der Karriereleiter nach oben nicht zwangsläufig jemanden glücklich macht, wenn wir nicht auch aus alten Mustern ausbrechen und den Mitarbeiter zu einem Partner machen, der sich genauso mit der Firma identifiziert wie der CEO.
Positive Unternehmenskultur
Die moderne HR-Abteilung bewegt sich mehr und mehr in Richtung People Analytics und all das mit dem Ziel, eine Unternehmenskultur zu schaffen, in der Mitarbeiter gerne arbeiten und nicht nur auftauchen, weil sie dafür bezahlt werden.
Anbieter wie CultureAmp haben den Trend erkannt und es sich zum Ziel gemacht, uns mittels „EX“ genau da zu helfen, wo wir selbst nicht weiter wissen, nämlich wenn wir trotz aller Bemühungen nicht mit unseren Mitarbeiter ins Gespräch kommen können. Mit regelmäßigen Pulse Checks in Form von kurzem Online-Feedback schlüsseln sie uns auf, wo bei unseren Mitarbeitern der Schuh drückt. Es nützt nichts, wenn wir ein ausgeklügeltes Onboarding-System haben, den Mitarbeiter danach aber nur im Jahresgespräch fragen, wie es ihm eigentlich geht. Ebenso ist es nicht zielführend, wenn wir der führende Anbieter im Bereich IT sind, unsere Mitarbeiter jedoch noch mit Windows X arbeiten. Was hilft es schon, wenn unsere Büros neu und offen für Kommunikation umgestaltet werden, aber niemand diese neuen Plätze nutzt, da die interne Kommunikation durch altes Silodenken stockt?
Die Kunden von CultureAmp sind junge und internationale Firmen wie AirBnB, Yelp, Etsy und Slack. Dies sind allesamt Unternehmen, die erfolgreich im Konsumentenfeld angesiedelt sind und verstanden haben, dass der eigene Mitarbeiter ebenfalls ein Konsument ist.
„Consumerization of HR“
HR befindet sich auf dem Weg zur Transformation hin zur „Consumerization of HR“, in der die Schaffung einer modernen Arbeitsplatzerfahrung nicht unbedingt mit einem hohen Preis verbunden ist. Sicher, die Aktualisierung der Technologie, die benötigt wird, um mit den Anforderungen der Arbeit Schritt zu halten, kann kostspielig werden. Dennoch beruht der Großteil dessen, was zu einer großartigen Mitarbeitererfahrung führt, auf ganz anderen Werten, nämlich Wertschätzung, Transparenz und Verbundenheit.
Und auf meine oben genannte Frage zurückzukommen, warum ich mich damals für meinen Arbeitgeber entschieden habe, war die Antwort doch ganz einfach. Ich fühlte mich wohl, mein Arbeitsfeld war international, meine Kollegen und ich waren ein tolles Team und ich fühlte mich angekommen. Der Kandidat, der diese Frage im Interview gestellt hat, wurde zum Mitarbeiter und ist auch heute noch tätig. Schade eigentlich, dass man diese Frage nicht viel öfter im Interview vom Gegenüber hört.