HR unplugged – oder warum auch in Zeiten von Künstlicher Intelligenz und digitalen HR-Systemen nach wie vor unsere Kompetenz gefragt ist

HR-Allgemein 10.22.2019

Mit dem Einzug von digitalen HR-Systemen und Künstlicher Intelligenz (KI) in die HR-Landschaft hat sich unsere Arbeitsweise in den letzten Jahren deutlich verändert. Es haben sich nicht nur bestimmte HR-Prozesse komplett verlagert, sondern auch die Anforderungen an das HR-Team von heute. Es wird teilweise ein ganz neues Skill-Set vom Personaler verlangt und, obwohl es eventuell noch den einen oder anderen technikscheuen Personaler gibt, weiß der Großteil unserer Kollegen um die Bedeutung, der sich aus dem Einsatz neuer Software-Tools und Systeme ergebenden Möglichkeiten.

Einher mit diesem schnellen Wandel, dem Appetit auf Veränderung und den Chancen, die sich uns bieten, bleibt aber manchmal auch ein wenig fader Beigeschmack: Könnte die Personalabteilung in ihrer heutigen Form in Zukunft vielleicht obsolet werden? Dies ist sicherlich ein kleines bisschen übertrieben formuliert, aber es wäre sicherlich gelogen zu sagen, dass wir nicht manchmal etwas wehmütig oder auch unsicher in die Zukunft schauen. Denn nicht jedem ist eine Technikaffinität in die Wiege gelegt. In letzter Zeit liest man viel über „HR unplugged“ und der bewussten Entschleunigung in einer hektischen Welt. Die Herausforderung von heute an uns Personaler ist es, die Authentizität unserer Abteilung zu bewahren und gleichzeitig die Adaption der neuen Technik voranzutreiben. Aber, wie schaffen wir das, ohne als technikscheue Muffel dazustehen?

In der Praxis geschieht derzeit vieles im Bereich AI, E-Recruiting, automatisiertem Onboarding, E-Learning oder auch der Implementierung von innovativen Mitarbeiter-Self-Service-Funktionen in diversen Mitarbeiterportalen. Systeme werden mehr und mehr ressourcenschonend, transparenter und auch effizienter gestaltet und bekommen dabei eine ganz andere Wertigkeit. Durch personalisierte Zugriffsrechte und Single-Sign-On-Dienste werden diese individuell für den Mitarbeiter verfügbar und Bearbeitungsvorgänge werden effizienter.

Auch viele bisher rein administrative HR-Aufgaben wurden im Laufe der letzten Jahre automatisiert und werden mittlerweile größtenteils direkt vom Mitarbeiter erledigt. Dieser wirkt so zum Beispiel nicht nur in seiner Seminarauswahl aktiv mit, sondern auch in ganz profanen Dingen wie Urlaubsanträgen oder dem Bearbeiten von Reisekosten. Ein aktives Mitgestalten ist ausdrücklich erwünscht. Doch auch Funktionen wie Entgeltabrechnung, Zeiterfassung und auch Stammdatenverwaltung, die seit vielen Jahren schon in HR-Software-Systemen abgebildet werden, sind in ihrem Wertschöpfungspotential noch lange nicht ausgereizt. Die Bandbreite möglicher Systemanwendungen im HR, um Personalabteilungen noch weiter von rein administrativen Aufgaben zu befreien, wächst im Rahmen von Self Service ständig. Denn genau wie die IT-Abteilung ist auch die Personalabteilung zunehmend gefragt, einen deutlichen Mehrwert für das Unternehmen zu schaffen. Dieser Mehrwert liegt dabei nicht mehr nur in der bloßen Verwaltung des Personals, sondern auch in der aktiven Beratung und Betreuung des Mitarbeiters. So wird aus dem Personaler zunehmend auch ein technikaffiner Business Partner.

Doch nicht nur die Vernetzung mit anderen Abteilungen im Unternehmen ist von zentraler Bedeutung. Auch das Tor zum Bewerber, unsere Außenwirkung, rückte in den letzten Jahren mehr in den Mittelpunkt. „Candidate Experience“ ist in aller Munde und gerade in Zeiten von Retention ein Schlüsselwort unserer Zeit. Viele Großkonzerne, aber auch smarte Mittelstandsunternehmen und Start-ups haben dies schon längst erkannt und besonders im Bereich Recruiting wurden auf Websiten intelligente Chatbots implementiert, die interessierte Bewerber zielgerichtet und schnell zu den gewünschten Informationen führen. Bevor der menschliche Recruiter überhaupt mit dem Kandidaten in Verbindung tritt, hat der Chatbot die geeigneten Kandidaten schon vollständig und wertefrei analysiert und bietet uns im Idealfall einen überschaubaren Pool an. Der Vorteil von Künstlicher Intelligenz liegt speziell im Recruiting Bereich klar auf der Hand, denn KI kann in Echtzeit unzählige Informationen über Kandidaten sammeln und vergleichen. Der Algorithmus erkennt bestimmte Muster und kann daraus qualitative Schlussfolgerungen ziehen.

Doch auch im aufstrebenden Zeitalter des KI ist die Komplexität des menschlichen Denkens dem Supercomputer weit überlegen. Computer sind noch nicht in der Lage zwischenmenschliche Beziehungen zu emulieren. Diese zwischenmenschlichen Beziehungen sind jedoch elementarer Bestandteil unseres HR-Daseins und das ist auch gut so. Selbst ein ausgeklügelter Algorithmus im digitalen Onboarding kann niemals das persönliche Gespräch mit dem erfahrenden HRler ersetzen.

Bisher kann KI auch noch keine HR-Konzepte erstellen, komplexe strategische Pläne verstehen oder bei einer Restrukturierung agil auf verschiedene Szenarien reagieren. Andererseits hilft ein guter KI-Filter, die Flut an Bewerbungen zu minimieren und der Recruiter hat mehr Zeit für das persönliche Gespräch mit den geeigneten Kandidaten – ein durchaus auch messbarer Mehrwert und dies auch ganz und gar „unplugged“.

Es ist also die Symbiose unserer virtuellen Aufstockung im Team, um uns freizuschaufeln für die wichtigeren Aufgaben im Personaler-Alltag. Statt in Papierstapel zu versinken, betreiben wir aktiv internes und externes Networking. Sicherlich wird sich der Mix der zu erledigenden Aufgaben hin zu systemischer Unterstützung verschieben, dies allerdings gepaart mit einer nicht zu verachtenden Brise Menschlichkeit – „unplugged“ eben.

Erfahrungen zeigen auch, dass die Zufriedenheit unserer Mitarbeiter steigt, wenn sie nicht nur in Prozesse stärker eingebunden werden, sondern auch Prozesse, die sie selbst auslösen, verfolgen und kontrollieren können. Dies allerdings angeleitet von echten Experten, die sich damit auskennen: Wir im HR.

Der Kollege Computer wird uns also auch in geraumer Zeit nicht zu 100 % ersetzen können. Vielmehr werden viele kleine virtuelle Helferchen unsere tägliche Routine verändern. Der Mitarbeiter wird in Zukunft sicherlich mehr mit diversen Apps oder vielleicht auch Virtual Reality arbeiten, weil ein schlaues Programm ein paar Wissenslücken bei ihm festgestellt hat. Wer jetzt gezielt an Top-Führungskräfte-Coaching denkt, hat weit gefehlt, denn diese Art Anwendungen machen durchaus auch im Blue-Collar-Bereich von sich reden. Der Mitarbeiter lernt vielleicht vorab die Bedienung der Maschine in einem virtuellen Szenario bevor er zu uns ins Training kommt. Bei Wal-Mart in den USA lernen Mitarbeiter mit Virtual Reality, wie man mit riesigen Kundenströmen an „Black Friday“ umgeht und auch MasterCard trainiert seine Mitarbeiter damit, um Soft Skills zu verbessern. Alles mit dem Ziel, neue Dynamiken zu erreichen, die wir vorher noch nicht wahrnehmen konnten.

Auch im Bereich „People Analytics“ finden neue Technologien ein breites Anwendungsfeld. Vorbei sind die Zeiten, in der HR unzählige Reports verwaltete und eine Flut von Ad-hoc-Reports und Analysen in Excel über uns zusammenschlugen. Mit Big Data und intelligenten Algorithmen können wir da deutlich mehr leisten und das in kürzerer Zeit.

Die Zukunft im HR wird also interessant und vielschichtig bleiben, denn mit der Beschaffung intelligenter Software ist es nicht getan. Es geht vielmehr um unsere Bereitschaft, neue digitale Fähigkeiten zu meistern und den dadurch frei werdenden Raum gekonnt zu nutzen. HR im Zeitalter von KI ist ein Mix zwischen unserem bewussten „Unplugged-Dasein“ und einem digitalen System, eine Symbiose aus einem positiven Benutzererlebnis unserer Technologien für unsere Mitarbeiter und der Gabe persönliche Empathie zu bewahren.

Anja Muecher

Anja Muecher bloggt für das HRM Research Institute (HRM.de) aus Amerika über die amerikanische HR & Recruiting Branche. Sie lebt mit ihrem Mann und zwei kleinen Kindern seit 2015 in Toronto, Kanada, und ist für Firmen und Privatpersonen selbstständig im HR-Bereich tätig. Sie begann ihre HR-Karriere 2006 bei „The Boston Consulting Group“ in Stockholm, Schweden. […]

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