Die große digitale Wolke schwebt über dem Land! Panikmodus – als ob wir in Deutschland noch mit der Pferdekutsche durch die Gassen fahren und Bewerbungen via Brieftaube versenden und in Hängeregistern aufbewahren. Ohne Chatbot, AI und irgendwas mit Revolution X.0 geht heute kein Artikel mehr über die Online-Theke. Disrupt or die! Warum fragt sich eigentlich kaum jemand, welche Auswirkungen diese vielen Marketing-Claims auf Gesellschaft und Umwelt haben? Was ist dringend zu digitalisieren und was besser nicht? In welchen Bereichen, in Bezug auf Ressourcenverbrauch, Zeit oder die Arbeitswelt, wird sich die Digitalisierung negativ auswirken? Wie sieht unser aktueller Digitalisierungsgrad überhaupt aus? Wo müssen wir aufs Tempo drücken? Was ist nur „Nice to have“? Brauche ich die sprechende Kaffeemaschine im Office wirklich, um ein buntes Arbeitgebersiegel zu erhalten oder ist das spontane Gespräch beim Kaffee vielleicht doch wichtiger? Was passiert wohl in der Probezeit, wenn Sie plötzlich mit echten Menschen in interdisziplinären Teams arbeiten, im Bewerbungsgespräch aber 9 Minuten mit einem schmerzfreien Chatbot und einer Sprachanalyse-Software gesprochen haben? Was passiert mit lokalen Gemeinschaften, die über Generationen zusammengelebt haben, wenn man mit digitalen Vermittlungsplattformen mehr verdienen kann und der dringend benötigte Wohnraum ohne jede Regel zum Hotel umfunktioniert wird? Dieser undifferenzierte Schrei nach „Disruption“ und „Digitalisierung“ muss auch kritisch hinterfragt werden. Was steckt wirklich hinter den „Buzzwords“ – wie schaut die Umsetzung in der Realität aus? Wer sind die großen Gewinner und wer die Verlierer? Wenn wir die Digitalisierung nicht in die richtigen Bahnen lenken, also pro Gesellschaft, pro Umwelt, pro Mensch, dann werden die Nachteile, die dadurch entstehen, wesentlich größer sein, als die Effizienzgewinne. Gerade im Human Resources unterliegen wir in Bezug auf Digitalisierung aus meiner Sicht einem Irrglauben. Es ist sinnvoll, über den Tellerrand zu blicken und zu experimentieren, keine Frage! Die Digitalisierung hat uns in den letzten 10 Jahren das Arbeitsleben wirklich erleichtert – z.B. im Sourcing, E-Learning (TED.com oder die MOOCs von Michael Sandel sind eine echte Bereicherung) und natürlich im digitalen Bewerbermanagement. Wenn wir uns jetzt aber an der Automatisierung von Fabriken orientieren (Internet of THINGS) und denken, dass wir das 1:1 adaptieren können und somit unser gesamtes People Business transformieren, dann arbeiten wir gegen die Natur des Menschen. Digitalisierung ist kein Selbstzweck. Die Balance ist entscheidend! Digitalisierung, Ausbildung, Gesellschaft, Umwelt & Gesundheit, Sozialsysteme und Arbeitsmärkte sind untrennbar miteinander verbunden – HUMAN Resources sind der Kitt zwischen all diesen Bereichen. Wir leben in der westlichen Welt schon seit Jahren im (Digitalen-) Überfluss. Oft geht es nur noch um ein paar Prozentpunkte Bequemlichkeit, ohne das Ganze im Blick zu behalten. Die Gefahr ist der alleinige Fokus auf noch mehr quantitatives Wachstum und das Zünden von kleinen, digitalen Nebelkerzen in allen Lebensbereichen, verbunden mit dem Glauben, dass in diesem wichtigen Transformationsprozess Menschlichkeit und Nachhaltigkeit schon nicht auf der Strecke bleiben.